Felix Mendelssohn Bartholdy: Elias op. 70

Werkeinführung zu unseren Konzerten am 17., 18. und 25. 06. 2006

Felix Mendelssohn Bartholdy

Elias

“Die letzte Note des Elijah ging unter in einem Unisono von nicht enden wollenden Applaussalven von tosendem Lärm. Es war, als hätte der lang gestaute Enthusiasmus sich endlich Bahn gebrochen und die Luft mit wilden Schreien der Begeisterung erfüllt”, lobte der Rezensent der London Times die Uraufführung des Oratoriums um den alttestamentarischen Propheten Elias. Am 26. August 1846 hatte der Komponist selbst, der Berliner Zelter-Schüler Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1848), die rund 400 Aufführenden in Burmingham geleitet und erzielte damit einen seiner wohl größten Erfolge.

Erst neun Tage davor waren die letzten Teile seines Manuskripts für die Übersetzung und den Druck in England eingetroffen. Die Entstehungsgeschichte des Werkes reicht allerdings deutlich weiter in die Vergangenheit zurück. Vielleicht motivierte die gelungene Uraufführung seines ersten Oratoriums “Paulus” Mendelssohn schon 1836, ein zweites, noch beeindruckenderes Musikstück dieser Gattung zu komponieren. Jedenfalls findet der Elias-Stoff erstmals ein Jahr später in einem Brief an seinen Freund Karl Klingmann Erwähnung. Im Sommer 1837 hatten beide während eines London-Aufenthaltes gemeinsam ein szenisches Konzept erarbeitet, das Klingmann durch eigene und ausgesuchte biblische Verse vervollständigen sollte. Doch berufliche Probleme zwangen den Textdichter, seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuzuwenden, so dass der Komponist die Zusammenarbeit im Mai 1838 aufgab und den “Elias” vorerst verwarf.

Als Mendelssohn aber 1845 gebeten wurde, das Brumingham Music Festival zu leiten und durch eine Eigenkomposition zu bereichern, gewann das Projekt neue Attraktivität. Er wandte sich an einen alten Bekannten, den Theologen Julius Schubring, der schon die Textgrundlage für den “Paulus” geliefert hatte und nun auch für den “Elias” aktiv wurde.

Während sich Medelssohn beim “Paulus” aber grundlegend am Beispiel Händels orientiert hatte, schwebte ihm für den “Elias” eine dramatischere Anlage vor. Weniger sollte ein Erzähler rezitativisch durch die Handlung führen, als vielmehr die Figuren selbst, “lebendig redend und handelnd”, wie es Mendelssohn in einem Brief an Schubring ausdrückte.

Diese Intention zieht sich durch das gesamte Stück und tritt gleich zu Beginn deutlich hervor. Noch vor der eigentlichen Ouvertüre eröffnet hier nämlich der Fluch des Elias (hebr.: “Mein Gott ist Jahwe”) die Handlung. Den dem Baalskult verfallenen Israeliten wird eine lange Trockenzeit angekündigt. Als sich diese Prophezeihung erfüllt, glaubt sich das Volk Israel von seinem Gott verlassen. Obadjah, ein Schüler des Elias, kennt den Grund und predigt die Wiederkehr zum Glauben an Jahwe. Um die Dürre zu überdauern hat sich währenddessen der Prophet am Bache Crith versteckt. Als aber auch dieser Quell versiegt, macht er sich auf nach Zarpath, wo er bei einer Witwe Unterschlupf findet. Nachdem er ihren toten Sohn mit der Hilfe Gottes wieder zum Leben erweckt hat, erkennt sie in Jahwe den einzigen und wahren Gott. Drei Jahre der Trockenheit sind seitdem vergangen und so begibt sich Elias zu König Ahab, der durch seine Heirat mit der phönizischen Prinzessin Isebeel die Ausbreitung des Baalskultes befördert hat, um ihn dessen anzuklagen. Ein Gottesurteil soll über den wahren Glauben entscheiden und auf dem Berge Carmel rufen die Anhänger Baals ihren Gott an, zum Beweis seiner Herrschaft Feuer auf die Erde zu senden. Doch dieser bleibt stumm.

Erst als der Prophet Elias seinen Herrn anruft, entzündet sich das Flammenopfer. So erkennt auch das Volk Israel in Jahwe wieder den wahren Gott und die Baalspriester werden getötet. Auf Elias Bitten hin läßt Gott es auf Erden endlich wieder regnen und mit den Jubelgesängen des Volkes endet der erste Teil des Oratoriums.

Aber König Ahab hat sich noch immer nicht vom Baalskult abgewendet. Als Elias seinem Volk den Zorn Gottes prophezeiht, hetzt die Königin die Israeliten gegen ihn auf und er muss in die Wüste fliehen. Wegen seines Scheiterns verzweifelt, wünscht sich Elias den Tod, doch die Engel sprechen ihm Mut zu. Auf dem Berge Horeb, den er auf Geheiß der Engel erklommen hat, erscheint ihm Gott voller Sanftmut und um ihn herum singt der Engelschor: “Heilig, heilig ist Gott, der Herr Zebaoth”. Elias soll nun wiederum hinabgehen, um mit den übriggebliebenen 7000 Israeliten, die sich nicht vor Baal gebeugt haben, den wahren Glauben zu predigen. Mit starkem Wort gelingt es, den König zu stürzen und am Ende seines gelungenen Lebens holt der Herr seinen Propheten Elias in einer spektakulären Himmelfahrt zu sich.

Eigentlich endet die alttestamentarische Geschichte hier und das Oratorium könnte zu Ende sein, doch auf Anraten Schubrings fügte Mendelssohn noch einige Passagen bei, die den Übergang zum neuen Testament und damit zum christlichen Glauben herstellen. Damit lässt der protestantisch erzogene Sohn einer jüdischen Familie das Werk in gewisser Weise zu einem Spiegel seiner eigenen Glaubenssituation avancieren. Das ist aber auch der Grund dafür, dass die Dramaturgie gegen Ende des zweiten Teils an Kohärenz verliert und die Arien und Chöre zumindest inhaltlich relativ austauschbar erscheinen.

Ein von den religiösen Gründen unabhängiges Argument, das den Komponisten zu dieser Ergänzung getrieben haben könnte, mag in der ausgeprägten Laienchortradition zu suchen sein, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts florierte. Zeitgenössische Chormusik wurde damals vornehmlich von bürgerlichen Gesangsvereinen wie der Singe-Academie zu Berlin aufgeführt, deren Mitglied Mendelssohn seit 1820 war. Vermutlich hätte der alttestamentarische Stoff allein im zweiten Teil des “Elias” nicht mehr genügend Material für eine exponierte Rolle des Chores geboten, weshalb weitere große Chöre angehängt wurden.

Jedenfalls macht der “Elias” insgesamt den Eindruck, als hätte sein Komponist dem Chor besondere Aufmerksamkeit und Liebe angedeihen lassen. In ausgedehnten Passagen greift er aktiv in das Geschehen ein und setzt akzentuiert die oftmals kontrastierenden Affekte. Er steht im Dialog mit der Königin, als diese das Volk gegen Elias aufhetzt und ruft bald flehend, bald befehlend in die durch lange Generalpausen bis auf’s Äußerste gespannte Stille während des Gottesurteils. Mendelssohn läßt ihn sogar, was ungewöhnlich ist, rezitativisch hervortreten.

Mit ihren Konzerten am 17. und 18. Juni 2006 in Rostock unter Leitung von Achim Zimmermann und am 25.06.2006 unter Leitung des Gastdirigenten Peter Leonard hofft die Berliner Singakademie, die sich der Musik Mendelssohns seit langem verpflichtet fühlt, dieser besonderen, vom Komponisten höchst dramatisch angelegten Rolle gerecht zu werden.

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© LeVampyre.de, 2006

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